In meinem Blog finden sich meine Gedanken zu Team- und Lernkultur, Kommunikation und auch ganz persönliche Impulse. Viel Freude beim Lesen und danke für deinen wertvollen Kommentar dazu.
09.11.2023
Beziehungsgestaltung im digitalen Raum – eine Frage der Haltung (?)
Wir sind uns sicher einig, dass wir vernünftige technische Lösungen benötigen, um uns im digitalen Raum miteinander verbinden zu können, aber ich erlebe immer wieder, dass Technik eben nicht alles ist. Deshalb konzentriere ich mich in diesem Artikel einmal auf die Haltung der Menschen, die sich im digitalen Raum begegnen.
Ich bin seit 2009 im Hochschulbereich unterwegs. Seit 2020 (ja, pandemiebedingt) befasse ich mich mit digitalem Lehren und Lernen. Und ich habe schon oft von Lehrenden gehört, dass es im digitalen Raum einfach nichts wird, weil doch da alle die Kameras aushaben und dann redet man so in den luftleeren Raum und niemand macht wirklich mit.
Studierende wiederum sagen, dass es früher besser war, es im digitalen Raum irgendwie nicht funktioniert und sie nicht so viel lernen, weil sie schneller abgelenkt sind.
Gehen wir zunächst auf die Situation der Lehrperson ein.
Wenn die lehrende Person einen Vortrag hält und alle Studierenden die Kameras währenddessen ausschalten, dann fühlt es sich an, als würde niemand zuhören. Hätten alle die Kamera an, dann würde die Lehrperson aber auch nur Stirn, Hinterkopf oder Seitenansicht der Studierenden sehen. Denn niemand schaut die ganze Zeit geradeaus in die Kamera. Die Studierenden wollen ja vielleicht auch mitschreiben, oder sie hören zu, hängen dabei aber Wäsche auf. Lenkt dies dann nicht noch mehr ab als schwarze Kacheln?
Wir sind es gewohnt, dass alle im Raum zu sehen sind. Das allein sagt aber noch nichts darüber aus, wie gut die Anwesenden tatsächlich zuhören und verstehen.
Die Frage aller Fragen:
Tragen die Studierenden nicht selbst die Verantwortung für ihr Lernerlebnis und Lernergebnis? Wofür brauchen wir dann ein optisches Zeichen, dass uns zugehört wird?
Wenn wir also ganz unvoreingenommen in eine digitale Lehrveranstaltung hineingehen und akzeptieren, dass die Studierenden die Kamera ausschalten, während die Lehrperson monologisiert, dann sind schwarze Kacheln kein Problem mehr. Denn sie sagen erst einmal nichts über die Güte des Vortrags aus.
Gute Lehre besteht abgesehen davon auch gar nicht nur aus Monologen einer Person.
Auch wenn wir das so aus unseren Schulzeiten kennen und viele Menschen tatsächlich eher Wissens-Berieselung fordern, weil sie es (noch) nicht anders kennen und weil sie sich davor fürchten, selbst etwas tun zu müssen oder sich vielleicht zu blamieren, wenn es interaktiver zugeht.
Wenn sich Phasen des Monologs mit Phasen des Austauschs, des gemeinsamen Überlegens und Diskutierens abwechseln, die Studierenden also aktiv einbezogen werden, erst dann können wir erkennen, ob es offene Fragen gibt, ob Wissen nicht nur angekommen, sondern auch verankert worden ist, ob die Studierenden damit in ihrer Praxis etwas anfangen können.
Gestalten wir also interaktive digitale Lernformate und verabreden wir zu Beginn mit den Studierenden, dass die Kameras angeschaltet werden, wenn wir miteinander sprechen.
Hören wir auf zu glauben, dass es im digitalen Raum nicht geht, sondern probieren wir einfach aus, was alles im digitalen Raum geht. Und holen wir uns Ideen im Austausch mit anderen Lehrenden oder Menschen wie mir, die sich damit intensiv beschäftigen.
Schauen wir nun einmal auf die Studierenden:
Ich selbst durfte vor Kurzem als Teilnehmende bei einer hybriden Veranstaltung dabei sein und habe festgestellt, dass es natürlich auf die gute Tonübertragung ankommt, aber dass auch das Bild eine wichtige Rolle spielt.
Wenn die Person, die gerade spricht, nur ganz klein hinten im Raum auf der Leinwand zu sehen ist, oder aufgrund der Beleuchtung gar nicht oder eben nur der halbe Kopf, dann hat das Auswirkungen darauf, wie ich dieser Person folgen kann.
Wenn die Stimme dann auch noch eher scheppernd im Raum ankommt, dann ist es für mich nahezu unmöglich konzentriert zuzuhören. Und eine Verbindung kann ich gar nicht erst aufbauen.
Kein Wunder also, dass Studierende leichter abgelenkt sind, wenn nichts am Online-Geschehen ihre Aufmerksamkeit fesseln kann. Digital sind wir mit einem Klick ganz woanders, es ist also umso wichtiger, sich damit zu befassen, was sowohl Studierende als auch Lehrende zum Gelingen des Lernens beitragen können.
Die Lehrperson ist keinesfalls die alleinige Entertainerin.
Lernen kann nur funktionieren, wenn die Lernenden ebenso Verantwortung übernehmen (siehe auch die Fragen aller Fragen.)
Ich habe das Gefühl, dass dies noch nicht bei jeder Person angekommen ist, deshalb schreibe ich es hier noch einmal deutlich:
Wenn Lehrende - oder nennen wir sie einmal Lernbegleiter:innen - Beziehungsgestaltung im digitalen Lernraum wichtig finden, müssen sie
- gut zu hören
- und gut zu sehen sein,
- sie müssen häufig aktiv in die Kamera schauen (das macht einen erheblichen Unterschied)
- und sie müssen immer wieder zielführende Interaktionen oder Kleingruppenarbeit einplanen,
denn eine Beziehung können wir nur aufbauen, wenn wir miteinander sprechen und uns dabei anschauen können. Vertrauen gewinnen wir erst, wenn wir einander sehen und hören. Und wenn wir eine Verbindung aufbauen wollen und sich das in unserer offenen Haltung widerspiegelt.
Sandra - 09:07 @ Lernen und Lachen | Kommentar hinzufügen